Der letzte Transat Abschnitt von Angra und eine Planänderung

Ich habe nach der ersten Veröffentlichung noch ein paar kleine Textänderungen gemacht, da mir die erste Version nicht mehr gefallen hatte

Eigentlich wollte ich wieder einen Film von dieser Passage machen und habe auch einiges an Material. In den meisten Aufnahmen sieht man mich, wie ich mich über das Wetter und die Windrichtung beschwere. Da das nicht sehr unterhaltsam ist, habe ich beschlossen, mit etwas Abstand ein wenig objektiver und weniger emotional über diesen Teil der Reise zu schreiben.
Am Donnerstag, den 27.6. brach ich am Nachmittag in Angra auf, um die 1200 Seemeilen Passage zu den Scilly Inseln in England zu unternehmen. Ich war noch am Stadtstrand schwimmen gegangen, das Wetter war toll und ich war bereit. Ich hatte mich von Andi und Kudi verabschiedet, die ein paar Stunden früher losgefahren waren und von Manuel und Gerrit, die beide noch blieben.
Es war klar, daß wir für eine ganze Weile den Wind von vorne haben würden, aber ich hatte Hoffnung, ohne zu viel kreuzen zu müssen, Strecke in die ungefähre Richtung machen zu können. Außerdem sah es nicht so aus, als würde das Wetter in absehbarer Zeit besser werden.

Amy, von Alex Mamacos fotografiert

Es war ein großer Spaß, die Südküste von Terceira bis zur SE Ecke hart am Wind entlangzufliegen, mit quasi idealen Bedingungen. Nachts nahm dann der Wind stark zu (und die Wellen) und wir wurden von den Wellen verprügelt. Ich fühlte mich furchtbar und dachte dauernd daran, daß ich Amy auf diese Weise vielleicht Schaden zufüge. Wir fuhren schon so hart am Wind, wie möglich unter diesen Bedingungen aber der Kurs führte uns Richtung Marokko (auf dem anderen Bug wären wir nach Terceira zurückgefahren). Alles war sehr anstrengend und frustrierend. Nach einer Weile drehte der Wind rück und wir konnten den Kurs verbessern. Manchmal ließ er etwas nach und dann konnten wir härter am Wind segeln und damit noch weiter in Richtung Norden kommen. Dann nahm der Wind wieder zu, wir wurden von den Wellen verdroschen und änderten unseren Kurs nach SE. Das ging neun Tage lang so und wir waren sehr müde und naß. Ich überlegte ernsthaft, nach Madeira zu fahren. Ein Highlight während dieser Zeit: wir wurden von einem anderen Segelboot am Horizont über Funk angerufen, das von Alex aus Südafrika geskippert wurde. Ich hatte sie in Tobago kennengelernt und wir waren uns immer mal wieder (zuletzt in Horta) über den Weg gelaufen (gesegelt). Wir hatten eine nette Unterhaltung und fotografierten gegenseitig unsere Boote aus der Ferne.

Am 8. Tag kam eine Kaltfront mit starken Böen und machte uns das Leben noch schwerer. Unser Radarreflektor (ja, der neue) brach und fiel herunter und am 9. Tag änderte sich das Wetter, aber nur, weil ein fieses Tiefdrucksystem im Anmarsch war. Wir hatten jetzt endlich Wind von hinten, aber viel zu viel. Da der Wind ständig seine Richtung änderte, kamen die Wellen von allen Seiten und obwohl wir 30kn Wind hatten, mußte ich die kleingereffte Genua trotzdem ausbauen um zu verhindern, daß sie in den Wellen schlug. Wir waren jetzt 150 Meilen von Cabo Finisterre entfernt und ich kontaktierte Ray aus Irland, um ihn um Rat zu fragen. Das Tief sah auf der Faxkarte ziemlich bedrohlich aus und ich wollte sicher gehen, daß ich nicht in einen furchtbaren Sturm hineinsegelte. Er schrieb, daß wir es nach Scilly schaffen könnten, wenn wir 30kn Winde (oder etwas mehr) und 3m Wellen aushalten könnten. Also fuhren wir weiter. Von jetzt an hielt mich Ray wettermäßig auf dem Laufenden, was mich sehr beruhigte. Wir waren nun mitten im System mit viel Wind und großen Wellen und horizontalem Regen, der im Boot alles naß machte (wenigstens kein Salzwasser). Das ging einige Tage so bis zum Montag den 8. Juli. Der Wind hatte etwas nachgelassen und wir flogen nur unter ausgebauter Genua dahin. 
Ich sah nicht weit entfernt den Blas eines Wals. Er kam auf uns zu immer näher und näher und ich wurde langsam nervös und dachte… der wird doch nicht..? Als er das nächste Mal auftauchte, war er so nah bei Amy, daß ich aus dem Cockpit auf seinen Rücken hätte steigen könne, ohne naß zu werden. Er war riesig groß und und angsteinflößend und majestätisch und friedlich und toll… Ich machte mir fast in die Hose vor Angst und war unfähig, mich zu bewegen und war gleichzeitig unglaublich fasziniert und glücklich, so etwas erleben zu dürfen. Er tauchte dann wieder ab und ich sah ein Auge, aber keine Heckflosse. Ich hatte geglaubt, einen Blauwal gesehen zu haben, aber nach späterer Recherche muß es wohl ein Finwal gewesen sein. 
Eine Stunde später gab es einen wahnsinnig lauten Knall am Bug und das Segel mit dem Baum schlug lose im Wind. Die Befestigung der Rollreffanlage am Bug war gebrochen und ich hatte nun kein Vorstag mehr. Es war ein Riesenchaos und ich rannte erstmal nach vorne um den Mast zu sichern.
Ich konnte das Segel nicht herunterbekommen, weil sich das Fall oberhalb der Salinge mit einer anderen Leine verknotet hatte, die ich vorher am Fall angebracht hatte, damit ich es ohne auf den Mast zu klettern herunterziehen könnte falls es wieder reißen würde. Nach einem circa einstündigen Kampf mit der neunköpfigen Rollreffanlage (die Wellen waren immer noch hoch und ich war immer 1-2 Sekunden mit dem Bug unter und 10 Sekunden über Wasser), hatte ich das System soweit am Bug befestigt, daß ich mich ums Segel kümmern konnte. Ich laschte ein Paddel an den Bootshaken als Verlängerung und ans Ende ein Filetiermesser. Nach endlosen Versuchen, für die ich zwei Hände brauchte (ich hatte mich vorher am Mast festgebunden) konnte ich endlich die Leine durchschneiden, das Fall befreien und das Segel runterholen. Das Deck sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen und ich hatte keine Navigationslichter mehr.
Danach band ich meinen Baumniederholer (Flaschenzug mit 5:1 Übersetzung) an das Spinnakerfall, befestigte alles an der vorderen Klampe und zog fest. Der Mast war jetzt endlich gegen ein Nach-Hinten-Fallen abgesichert, aber ich wußte nicht, wie gut das gegen die Wellen halten würde. Ich änderte den Kurs, sodaß wir den Wind von hinten hatten und zog das 2fach gereffte Groß hoch. Unser Plan mußte geändert werden. Ich brauchte einen Ort mit Reparaturmöglichkeiten, und er mußte mit Wind von hinten erreichbar sein. Ich hoffte, es nach Brest zu schaffen und Ray ließ mich wissen, daß der Wind erst in vier Tagen wieder gegen uns drehen würde. Wenn wir es schaffen würden, drei Tage mit stehendem Mast zu segeln und den Rest in der vorübergehenden Flaute zu motoren, könnte der Plan aufgehen.
Die nächsten drei Tage hatte ich ständig Angst, daß der Mast doch noch herunterkommen würde. Wir kamen gut voran, aber ich konnte auch sehen, wie sich der Mast im Seegang bewegte. Außerdem waren wir jetzt in der Biskaya mit sehr viel Schiffsverkehr ohne Radarreflektor und Navigationslichter. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, fiel das AIS in der zweiten Nacht auch noch aus und ich arbeitete die ganze Nacht durch, um es wieder zum Laufen zu bekommen. An Löten war bei dem Seegang nicht zu denken, am nächsten Morgen lief es aber wieder. Es gab ein paar sehr nahe Begegnungen (ich konnte ja an meinem Kurs nichts ändern) und ich rief diverse Schiffe über Funk an. Keins hatte uns gesehen (noch nichtmal am Tag), aber alle waren sofort verständnisvoll und änderten ihren Kurs schnell und drastisch. Die Worte eines Wachoffiziers waren:  “I can now see you with the binoculars, I love what you are doing with that small boat. Keep it up!”
Ich schlief quasi gar nicht mehr und habe keine Ahnung, wie ich es schaffte wach zu bleiben, aber anscheinend hielt mich das Adrenalin auf Trab. Ray schrieb mir Nachrichten, um meine Stimmung aufrecht zu halten. Das half mir sehr. 70 Meilen vor der Küste schlief der Wind ein (wie vorhergesagt) und ich hatte genügend Diesel übrig, um diese Strecke zu motoren. Jetzt fing ich an, Hoffnung zu schöpfen, Amy tatsächlich mit stehendem Mast in den Hafen zu fahren, ohne Hilfe rufen und sie daraufhin versenken zu müssen.
Es kamen mehr Wale und Delfine. So langsam glaube ich wirklich, die haben telepathische Kräfte und kommen, um mich zu trösten. Eine große Familie Pilotwale mit ihren Kindern spielte für mindestens eine Stunde um Amy herum.

Wenn ich jetzt über alles nachdenke, kommt es mir vor wie ein Traum oder Albtraum (beides eigentlich). Ich kam im Stockdunkeln im Goulet de Brest an mit der Tide, die nun perfekter Weise in meine Richtung floß (ich hatte noch Navigationslichter aus farbigen Plastiktüten gebastelt… das letzte was ich wollte war jetzt noch ein Strafzettel) und fand einen freien Platz in der Marina du Moulin Blanc um 4 Uhr morgens. Schlief ein paar Stunden, ging um 8 in die Capitainerie und fand heraus, daß ich unglaubliches Glück gehabt hatte, denn hier ist ein riesiges Hafenfest, daß nur alle vier Jahre stattfindet und alles ist monatelang vorher ausgebucht. Ich fand einen guten Rigger, der hatte eine gebrauchte Rollanlage und alles war deutlich günstiger und besser, als ich befürchtet hatte.
Bei einem Bier in der Brasserie am Hafen lernte ich Adam, Paul, Dan und Dave aus Wales kennen, aber darüber und die Zeit in Brest schreibe ich später.


8 Antworten auf „Der letzte Transat Abschnitt von Angra und eine Planänderung“

  1. Mann oh Mann, da hast du aber Glück gehabt und enormen Durchaltewillen gezeigt . Ziemlich dramatisch das alles. Glückwunsch, dass du das alles heil überstanden hast! Unglaublich! Jetzt müsstest du aber das Heftigste hinter Dir gelassen haben hoffe ich. Für smden Rest deiner Wahnsinnsreise wünsch ich Dir alles, alles Gute! Herzlich, Andreas

    1. Lieber Andreas!
      Danke Dir. Wir haben ja schon telefoniert. Bin gestern Nacht gut in Littlehampton gelandet und ruhe erstmal ein bißchen aus. Wetter ist eh nicht so zum Weiterfahren gerade.
      Liebe Grüße und bis bald
      Kai

  2. Lieber Kai,
    Beim Lesen Von Deinen letzten Erlebnissen wurden mir schwindelig. Aber ich beneide Dich um Deine Erlebnisse mit den Walen. Alles Liebe Von und aus Cheltenham Von Clare Tilly mit Joe und Schorly

    1. Lieber Schorly!
      Ja, das mit den Walen war wirklich ein ganz tolles Erlebnis. Die Havarie eher nicht so toll, gehört aber wohl auch dazu. Auf jeden Fall interessant :-), wenn man es jetzt so betrachtet. Und ich habe einfach wahnsinnig viel Glück gehabt.
      Liebe Grüße an alle
      Kai

  3. Mein Gott. Kai
    Das übersteigt mein Denkungsvermögen. Angst erfüllt mich ohne Ende. Wie ergeht es Zissi?
    Ich frage sie nicht!!
    Komm heil zurück.
    Es umarmt Dich Karin

    1. Liebe Karin!
      Zissi ging’s bestimmt nicht so toll. Hättest sie ruhig fragen können, aber es ist ja alles gut gegangen und mir geht’s gut und ihr jetzt auch. Amy ist wieder fit und ich bin schon in Südengland und habe hier noch ein paar Dinge zu erledigen. Dann geht’s am Wochenende wahrscheinlich nach Dover. Und so geht es dann immer weiter Richtung nach Hause.
      Mach’s gut und bis bald hoffentlich
      Kai

    1. Hallo Michael!
      Danke Dir. Es war wirklich eine tolle Reise über die ich sehr dankbar bin. Vielleicht laufen oder segeln wir uns ja mal über’n Weg.
      Würd mich freuen.
      Viele Grüße
      Kai

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